Die
heilenden Klänge des
Ayurveda
Kapitel
5,
Teil 2
Wie die vedische Musik aufgebaut ist
und wodurch sie wirkt
Stimme
Ragas
können gesungen oder mit Instrumenten gespielt
werden. Die menschliche Stimme ist jedoch die intensivste
und ursprünglichste Art des Raga-Vortrages. In
Indien wurde schon in alten vedischen Zeiten die Stimme
des Menschen genauestens beobachtet. Sie war nicht
nur das Medium, die Klänge des Veda durch Rezitation
und die Musik der Natur durch Gesang auszudrücken,
sondern auch ein Spiegel der Seele. Jede Emotion,
jedes Gefühl, Gesundheit und Krankheit, Vitalität
oder Schwäche in einem Organ, die Stimme enthält,
wie der Puls, das gesamte Spektrum an Frequenzen,
die von dem Spiel der Doshas ausgehen. Dabei hat jeder
seinen eigenen Klang in der Stimme, der unabhängig
von Krankheit oder Gesundheit, ihn als Individuum
charakterisiert. An der Stimme erkennen wir jeden
Menschen sofort wieder.
Der
inzwischen verstorbene indische Naturwissenschaftler
und Musiker Dr.Vemu Mukunda hat auf den alten
vedischen Wissen vom Grundton eines jeden Menschen,
ein System der Diagnose und Therapie entwickelt, das
von der deutschen Musikwissenschaftlerin Gunda Dietzel
weiterentwickelt wurde. Auf der Grundlage des Grundtones,
der aus der Stimme erkannt werden kann, lässt
sich zum Beispiel die Stimmbildung von Sängern
perfektionieren oder durch "Tönen"
oder Singen eine gesundheitsfördernde Wirkung
erzielen.
Den
Tönen Leben einflößen
Der
Ton allein macht aber noch nicht die Musik. Die Kunst
der vedischen Musik besteht darin, die Töne so
zu singen oder zu spielen, daß sie einen gesundheitsfördernden
Einfluss auf den Hörer und seine Umgebung haben.
Neben der Melodieführung spielen schmückende
und verzierende Spieltechniken, Alankaras (Schmuck,
Dekoration) und Gamalkas (Bewegung, Vibration) eine
ganz wesentliche Rolle.
Gabriel
Hartmann, der eine ausgezeichnete musiktheoretische
Abhandlung über den Maharishi Gandharva-Veda
geschrieben hat, bezeichnet vor allem die Gamakas,
die Schwingungen und Vibrationen eines Tones, als
das wichtigste Mittel, "die unbelebten
Töne zum Pulsieren und Vibrieren zu bringen,
ihnen Leben (Prana) einzuhauchen und sie mit dem Ursprung
und Urklang aller Lebenskraft und Lebensfreude- Nada-
in Resonanz zu bringen. Erst dann sind Töne wahrhaft
"Swaras"; sie lassen "Swa", das
Selbst oder transzendentale Sein, innerlich hörbar
als Nada, "erglänzen" ("ra"
von rajir, scheinen, glänzen). Die
große Kunst der vedischen Musik besteht darin,
die Swaras so zu singen oder zu spielen, dass sie
den Hörer nach Innen, zum Selbst, zur Quelle
von Frieden, Gesundheit und Glück führen
und auf diese Weise die Harmonie und Gesundheit der
Menschen fördern.
Die
Shrutis (Linkempfehlung:
22
Shrutis in der indischen Musik),
die Tonzwischenräume, der feinste musikalische
Klangunterschied, den das musikalisch geübte
Ohr gerade noch wahrnehmen kann, sind ein weiteres
der Gandharva-Veda Musik eigenes Medium, diese Wirkungen
zu erzielen. Ihre künstlerische Darstellung gilt
als Geheimwissen, das nur von Meister zum Schüler
weitergeben wird und vielleicht eines der größten
Geheimnisse der besonderen Wirksamkeit der Ganhrava-Musik
in sich birgt.
Die
drei kosmischen Grundtonleitern
Die
vedische Musik baut auf drei unterschiedlichen Grundtönen
auf, woraus sich drei Grundtonleitern ergeben.
Im Spiel des Raga geht der Musiker zunächst immer
von der mittleren Tonlage aus, führt dann die
Melodie nach unten, im fortschreitenden Ausdruck des
Raga dann in zunehmend höhere Tonbereiche. Die
drei Grundtonleitern korrespondieren mit den drei
Tageszeiten Vormittag, Mittag und Nachmittag sowie
mit den Jahreszeiten Winter, Sommer und Herbst. Auf
der Ebene der reinen inneren Bewusstheit finden die
ihre Entsprechungen in Rishi, Devata und Chhandas
(Seite..) und auf der Ebene der ausgedrückten
Natur in Vata, Pitta und Kapha. Das Spiel über
und innerhalb der drei Grundtonleitern beeinflusst
damit vermutlich auch wiederum die grundlegenden Bioenergien.
Auch
in der klassischen Besetzung einer Gandharva-Veda
Gruppe finden wir die Dreierstruktur wieder. Das Melodieinstrument
oder die Gesangsstimme besänftigen oder beleben
Vata, das Begleitinstrument, die Tambura steht für
den stabilen gleichmäßigen Hintergrund
und beruhigt Vata, unerstützt Kapha und das Rhythmusinstrument,
die Tabla, reguliert Pitta, festigt Kapha und bringt
Vata in den Rhythmus des Lebens.
Vata
wird hautsächlich moduliert durch sanfte weiche
Melodie besänftigt
Pitta
durch Rhythmusinstrument und durch Melodie und Klang
Kapha
durch den festen und stabilen Rhythmus, durch sanfte
weiche Melodie verstärkt
Der
Einfluss der Melodie auf die Doshas wird auch und
vor allem noch durch die individuellen Klangeigenschafen
der Instrumente variiert. Vata wird angeregt von den
sehr feinen und subtilen Instrumenten wie Sitar, aber
auch durch die Vena und die Sarangi. Pitta wird vor
allem durch die Tabla-Rhythmen belebt, erdet aber
auch und stärkt dadurch ebenso Kapha. Sadhaka-Pitta,
das Pitta-Dosha der Gefühle des Herzens, wird
besonders angeregt durch Santoor. Flöte hat am
ehesten die Qualitäten, Kapha zu stärken.
Rhthmus
Gandharva-Veda
ist Ausdruck und Grundlage der großen Vielzahl
an Rhythmen
(Talas) und Zyklen
in der Natur und in unserem Körper. Alles
Leben ist rhythmisch, entwickelt sich fort in Phasen
von Ruhe und Aktivität, von Anspannung und Loslassen,
von nach Innen gehen und sich nach Außen entfalten.
Wenn nach der Stille der Nacht ein neuer Tag erwacht,
beginnt auch für die Natur ein neuer großer
Atemzyklus. Und wenn dieser Tag dann schließlich
endet, atmet auch die Natur noch einmal aus und findet
zurück zu der ihr eigenen unbewegten Ruhe der
Nacht. Unzählige große und kleinste Pulsationen
bestimmen unser Leben und sind die Musik der Schöpfung.
Der
Pulsschlag des Herzens, die Zyklen der Hormone, die
rhythmischen Tag- und Nachtschwankungen von Stoffwechsel,
Körpertemperatur und geistigen Qualitäten,
sie alle sind Ausdruck von Gandharva-Veda, der
harmonisierenden Intelligenz in der Natur, die alle
Rhythmen in vollkommener Weise integriert und dadurch
Geist und Körper im Einklang hält mit den
großen Zyklen des Lebens. Wir sind Teil der
Natur und daher Teil ihrer Musik. Die verschiedenen
Tals, Rhythmen (siehe auch S..) drücken Naturrhythmen
aus und bringen zurück in den eigenen Rhythmus
und in den Rhythmus der Natur. Der Faktor Zeit, auch
in der Anwendung der verschiedenen Melodie- und Rhythmusstrukturen
der Ragas spielt daher im Gandharva-Ved eine ganz
wesentliche, ja unverzichtbare Rolle.
Die
Zeitqualität
Das
besondere an den Ragas der die bestimmten Tages- oder
Jahreszeiten zugeordnet werden oder für
bestimmte Anlässe, wie Feste und Feiern und zur
Entfaltung seelischer Qualitäten und geistiger
Eigenschaften, wie innerer Frieden, Freude oder Kreativität
gespielt werden. Das besondere an den Ragas ist, wenn
sie richtig gespielt werden, dass sie mit den Klängen
und Schwingungen der Natur korrespondieren, die zur
Zeit ihres Vortrags vorherrschen. Dadurch erzeugen
sie eine wohltuende und harmonisierende Resonanz in
der Umgebung und bei den Zuhörern.
Die
vedische Musik greift hier ein Naturgesetz auf, das
zunehmend auch in die Therapie der westlichen Medizin
Eingang findet. Die sogenannte Chronopharmakologie
gibt genaue Hinweise, wann, zu welcher Tageszeit ein
bestimmtes Medikament eingenommen werden sollte, damit
es die beste oder überhaupt eine Wirkung entfaltet.
Grundlage solcher Empfehlungen ist die innere Uhr
unseres Körpers, sind die komplexen Biorhythmen
des Organismus.
Die
guten Musiker des Gandharva-Ved spüren die Zeitqualität
der Ragas sehr genau. Einen Morgenraga nachmittags
zu spielen, tut weh und ein sensibler Musiker verlässt
ein Konzert, wenn gegen solche elementare Gesetzmäßigkeiten
verstoßen wird, weil er es einfach nicht erträgt.
Korrekte
Wiedergabe
Die
besten Künstler der klassischen indischen Musik,
legen größten Wert auf eine korrekte Wiedergabe
der Ragas im ursprünglichen Sinne und nach den
vedischen Regeln. Prof. Debu Chaudhuri, einer der
bedeutendsten Vertreter der alten vedischen Musik,
bezeichnet Gandharva-Veda "als das Wissen von
der Musik schlechthin. Wir spielen es in der reinsten
Form. Alle, die in der ursprünglichsten Form
ihre Musik vortragen, können diese Musik Gandharva-Musik
nennen." Diese Reinheit der Wiedergabe wurde
leider in der neueren Zeit nicht mehr in allen Bereichen
eingehalten. Gerade
in Indien werden bei Konzerten manchmal elementare
Gesetzmäßigkeiten der Gandharva-Musik missachtet.
Debu Chaudhuri dazu:
"Aber
heute, in dem großen Bereich der Musik, beherrscht
der Kommerz alles. Es gibt kaum noch Musiker, die
für die Seele spielen. Sie betreiben Effekthascherei
und lassen sich von den Leuten beeinflussen. Sie wollen
sich showartig präsentieren. Diese Show hat ihre
spirituelle Haltung beeinflusst .... Wenn
jemand diesen reinen Prinzipien der Musik nicht folgt,
so kann er das nicht als Gandharva-Veda Musik bezeichnen.
Wir spielen die Ragas, die wir in der reinsten traditionsreichsten
Form behandeln, im Unterschied zur kommerziellen Form.
In der kommerziellen Form nimmt man auf die Essenz
der Raga keine Rücksicht. Jede Raga hat ihren
eigenen Klang und ihre eigene Zeit. Wenn man die Tonfolge
der Abendraga morgens benutzt, dann ist das falsch."
Der
junge Sarod-Spieler Ranajit Sengupta, eines der größten
Talente Indiens, spürt die Wirkung dieser Musik
in jeder Ader seines Körpers. "Ich
fühle die Musik in meinen Gliedern, eine Leichtigkeit,
als würde ich Fliegen, als wäre ich in einer
anderen Welt. Aber wenn ich bei einem Konzert eine
Morgenraga höre, die nachmittags gespielt wird,
dann spüre ich einen Widerspruch, eine Disharmonie
im ganzen Körper. Ich kann das nicht ertragen,
ich muss das Konzert verlassen."
Begnadete
Musiker, die den enormen Einfluss der vedischen Musik
auf die Physiologie des Menschen, die Atmosphäre
in seiner Umgebung und die Rhythmen der Natur spüren,
tun sich schwer, ihre Gesetze zu verletzen. Sie sind
überzeugt, dass falsches Spiel und das nicht
einhalten der naturgesetzlichen Regeln, die dem Gandharva-Veda
zu Grunde legen, Disharmonie in den Zuhörern
und der Natur erzeugen. Eine bekannte Legende aus
den alten vedischen Zeiten symbolisiert, welche schwerwiegenden
Folgen man von falschem Spiel erwartete:
"Es
ereignete sich einmal, dass der Waise Narada, der
glaubte, dass er die Kunst und die Wissenschaft der
Musik gründlich studiert und Meisterschaft darin
erreicht habe, Lord Vishnu begleitete, der ihn zum
Wohnsitz der Götter führte. Auf dem Weg
dorthin begegneten sie einer Gruppe von Frauen, die
wegen gebrochener Glieder ihres Körpers weinten
und klagten. Als Lord Vishnu sie fragte, wie sie dieses
Missgeschick befallen konnte, sagten sie ihm, dass
sie Raga und Ragini Schöpfungen vom Gott Shiva
Mahadeva und das der ungeschickte und nachlässige
musikalische Vortrag des Waisen Narada ihre Gestalt
verkrüppelt hat. Solange diese Ragas und Ragines
nicht korrekt, entweder von Shiva selbst, oder von
einem anderen ähnlich meisterhaften Musiker gespielt
würden, gab es keine Hoffnung, dass ihre ursprüngliche
Gestalt wieder hergestellt würde. Narada schämte
sich, kniete sich nieder vor den Füssen von Lord
Vishnu und bat um Vergebung."
Weiter
zum 3. Teil des 5. Kapitels