Kreativität
und Innovation -
Einfälle für alle Fälle, 3. Teil
Kreativität,
sagte Edison, der es wissen mußte, bestehe aus
einem Prozent Inspiration und 99 Prozent Schweiß.
Manchmal schwitzte und arbeitete Edison gar 120 Stunden
die Woche. Aber ohne bahnbrechende Ideen vorneweg
wäre er als Erfinder kaum berühmt geworden.
Man kennt das Problem vom Scheck ausschreiben: neun
Nullen nebeneinander bringen wenig, eine Eins davor
hingegen viel. Wie funktioniert nun das Wechselspiel
zwischen den Einsern des Geistes und dem Rest, zwischen
genialem Einfall und (schweißtreibender) Verwirklichung?
Gibt es einen Blitzableiter für Musenküsse?
Das sind die Fragen, um die sich eine neue Wissenschafztsdisziplin
kümmert: Kreativitätsforschung.
Kreativität
- die Erfindung des Erfindens
Ein Fahrplan durchs Land der Musenküsse
von Micky
Remann
Intuition
beeinflußt zwar die Kraft der Intelligenz ,
andererseits braucht man keinen hohen Intelligenz-Quotient,
um intuitiv zu glänzen. Intuition bezieht sich
weniger auf verbales und kognitives Können, sondern
mehr auf gefühlte Assoziationen und selbsterschaffene
Metaphern. Zu dieser Erkenntnis kam der Psychologe
Frank Baron von der University of California in Santa
Cruz, der sich seit 40 Jahren mit dem Thema Kreativität
auseinandersetzt.
Aus
neurologischer Sicht hat Candace Pert vom amerikanischen
National Institute of Mental Health die etwas grobgestrickte
Vorstellung von den beiden Hirnhemisphären (links=logisch,
rechts=kreativ) aktualisiert. Sie fand heraus, daß
es die vorderen Hirnpartien beider Hemisphären
sind, die bei kreativer Tätigkeit besonders aktiv
sind. Auch Karl Pribram, der als einer der ersten
Wisenschaftler über Gehirndominanzen arbeitete,
geht davon aus, daß sich die Funktion 'Kreativität'
nicht im Schema rechte/linke Hirnhälfte einordnen
läßt, sondern in vordere und hintere Regionen.
In den frontalen Schläfenlappen sind 30 % mehr
Opiatrezeptoren als irgendwo sonst im Gehirn. Das
ist insofern wichtig, als ein kreativ tätiges
Gehirn dort überdurchschnittlich viele Endorphine
(natürliche Opiate) ausschüttet - kein Wunder,
daß es als lustvoll empfunden wird, wenn einen
die Muse knutscht. Neurologen nennen das einen "endorphin-energetisierenden
Bewußtseinszustand", zu deutsch: kreatives
High.
"Kreativität",
ergänzt Candace Pert, "kommt aus dem spirituellen
Bereich, dem kollektiven Bewußtsein." Das
Gehirn sei Empfänger, nicht Quelle all der erregenden
und überraschenden Informationen aus dem Universum,
die sich in kreativen Momenten eröffnen. Aus
welcher Dimension die guten Geister mit den guten
Einfällen auch immer stammen mögen, sie
haben auch ganz bestimmte psychologische Entsprechungen.
Solche
Ideen, das wissen betroffene Laien genauso gut wie
bezahlte Wissenschaftler, haben die freche Angewohnheit,
genau dann zu kommen, wenn man am wenigsten mit ihnen
rechnet - sie lassen sich nicht herbeizwingen. Einserseits
nützt es also nicht, sich anzustrengen, à
la: "so, heute bin ich von 9 bis 5 unheimlich
kreativ." Andererseits möchte man das kreative
High aber auch nicht ganz dem Zufall überlassen.
Sonst verschläft man es womöglich, wenn
es einem gerade die Gnade seines Erscheines erweist.
Was tun? Es empfielt sich, sagen die Forscher, auf
die Ränder der Aufmerksamkeit zu achten. Die
besten Einfälle erblühen nämlich in
den Grauzonen einer toleranten Wachheit, ihr Nährboden
ist der geistige Unschärfebereich, eine Mischung
aus Nonsense, chaotischem Spiel und unbehinderter
Aufmerksamkeit.
Doch
solche Psycho-Prosa ist längst nicht alles, was
zum Phänomen der Kreativität gedichtet werden
kann. Edisons 99% Schweiß lassen grüßen...
Das
Schneeflocken-Modell der Kreativität
Der Harvard Psychologe David Perkins, Leiter des 'Projekt
Zero' zur Erforschung kognitiver Fähigkeiten
bei Wissenschaftlern und Künstlern, hat ein pragmatisches
Modell jenseits der romantischen Mythen entwickelt,
um den kreativen Prozess zu beschreiben. Er stieß
auf sechs zusammenhängende Bausteine, die er
sehr plastisch zu einem sechseckigen 'Schneeflocken-Modell
der Kreativität' zusammenfaßte.
Als
erste Zacke,
sagt Perkins, gehört zu dieser Schneeflocke eine
stark ausgeprägte persönliche Asthetik,
nämlich "das Bedürfnis, dem scheinbaren
Chaos Bedeutung, Reichtum und wesentliche Ausdrücke
zu entringen." Teil dieser persönlichen
Ästhetik ist eine hohe Toleranz gegenüber
Komplexitäten, Zweideutigkeiten und Disorganisation.
Kreative Menschen scheinen Gefallen daran zu finden,
sich in einen Wust von Ungewißheiten zu stürzen
und daraus neue Zusammenhänge zu häkeln.
Zweitens
gehört zur Psychologie des Erfindens die Fähigkeit,
ungewohnte Fragen zu stellen und die verschiedensten
Optionen eines Problems durchzuarbeiten.
Als
Nobelpreisträger Linus Pauling einnmal gefragt
wurde, woher er all seine guten Ideen hernehme, antwortete
er: "Zuerst hat man einen Haufen Ideen und dann
schmeißt man die schlechten raus". Solchem
Sieben und Sichten dienen unkonventionelle Fragen
mehr als gescheite Antworten. Ebenso entscheidend
ist es, ein kritisches Urteil anhören zu können
und es nicht aufgrund eigener emotionaler Vorlieben
abzuwehren.
Die
dritte Zacke
von Perkins kreativer Schneeflocke heißt mentale
Mobilität.
Damit
ist die Fähigkeit gemeint, neue Perspektiven
und Herangehensweisen zu finden und dabei vor Paradoxien
nicht zurückzuschrecken. Schutzpatron dieser
Disziplin ist der römische Gott Janus, der bekanntlich
mit seinen zwei Gesichtern nach vorne und hinten gleichzeitig
blickte. Wer kreativ ist, wird häufig in Gegensätzen
und Asymmetrien denken und die gängigen 'frontalen'
Sehweisen in Frage stellen. Um aus Widersprüchen
neue Synthesen zu entwickeln, bedient sich der kreative
Janus-Mensch mit Vorliebe einer märchenhaften
Logik. Denn die Sprache der Symbole, der Analogien
und Metaphern kann auch die widerspenstigsten Gegensätze
zum Happy-End lotsen, sprich: zu einer unorthodoxen
Vermählung, im Jargon auch als Synergie bekannt.
Viertens
gehört zur Kreativität die Bereitschaft,
Risiken einzugehen.
Hier
treffen sich die Einfallsreichen mit den Waghalsigen
und sogar mit den Kriminellen. Sie alle suchen den
Kitzel der besonderen Herausforderung, jeder auf seinem
Terrain, ob geistig, körperlich oder gemischt.
Die Kreativen dürfen das geistige Risiko nicht
scheuen und vor intellektuellen Verbotsschildern kein
Halt machen. Klingt gut, nicht wahr? Die schlechte
Nachricht: Dieses Risiko schließt die Möglichkeit
des Scheiterns mit ein. Anderslautenden Mythen zum
trotz ist der Fall auf die Nase keine unbekannte Erfahrung
für den kreativen Menschen. Im Gegenteil, nur
unkreative Nasen fallen nie auf dieselben. Daß
ein Genie am laufenden Band ausschließlich großartige
Ideen produziert ist eine jener irrigen Vorstellungen,
die "die Leute zurückhält, selbst wirklich
so kreativ zu sein, wie sie es sein könnten"
wie der Psychologe Dean Simonton von der University
of California in Davis erkannte. Es gibt keine Monokultur
des kreativen Erfolgs gibt, Mißerfolge sind
Teil der Kreativität - sofern man sich durch
sie nicht abhalten läßt, trotzdem weiter
zu suchen. Das heißt, wer die Chancen der Originalität
wahrnehmen will, arbeitet immer am Rande der eigenen
Kompetenz und oftmals im freien Flug weit darüber
hinaus. Zurück zu Perkins Modell,
Schneezacke
Nummer fünf: Sie lautet Objektivität .
Ohne
den genau prüfenden, gemeinhin objektiv genannten
Blick laufen auch die brillantesten Kreativen Gefahr,
in einer Welt des autistischen Scheins zu verschwinden.
Objektivität, sagt Perkins, erfordert mehr als
Talent oder Glück, es erfordert die Fähigkeit,
sein Ego zur Seite zu stellen, Rat und Fakt und Feed-back
einzuholen. Es reicht nicht, gute Ideen zu haben,
wenn man nicht willens ist, sie unter die Lupe zu
nehmen und zu testen.
Sechstens
und letztens komplettiert die innere Motivation Perkins
Modell.
Sie
ist in gewisser Weise das Herz hinter und in allen
anderen Aspekten der Kreativität. Erfinderische
Menschen sind es in erster Linie um ihrer selbst willen,
aus sich selbst heraus, und nicht, weil sie ihre Bemühungen
gegen Nobelpreise und Pensionsberechtigung einzutauschen
gedenken. Die Triebfeder des kreativen Arbeitens ist
nicht das Kalkül von Soll und Haben, sondern
ein Überfluß an Freude, ein Gefühl
der Befriedigung, das aus der Herausforderung selbst
bezogen wird. Wie wichtig es ist, die Quelle der innere
Motivation nicht äußerem Druck preiszugeben
betont Teresa Amabile, Psychologieprofessorin an der
Brandeis University: "Es gibt viele Menschen
mit großem kreativem Potential, und viele hatten
anfängliche Erfolge damit. Aber dann trockneten
sie irgendwie aus, weil sie sich von äußeren
Zwängen beherrschen ließen."
Teresa
Amabile weist darauf hin, daß unsere leistungsorientierte
Gesellschaft von der Schule bis zum Beruf, mit der
Betonung von Konkurrenz, Überwachung und Noten
der Entfaltung der kreativen Motivation diametral
entgegensteht.
Kein
Wunder, handelt es sich doch bei der Kreativität
um einen musischen Zustand, der dem "von Liebenden
oder Betenden vergleichbar ist," wie Einstein
einmal an Max Planck schrieb. Und er fügte an,
daß dieser Zustand nicht aus einem zweckgerichteten
Programm erwachse, sondern "aus einem unmittelbaren
Bedürfnis."
Dieses
Bedürfnis zu verspüren und seine Schwungkraft
zu nutzen scheint zu den Trümpfen zu gehören,
die den Menschen in diesem unserem Universum in Köpfe
und Herzen gelegt wurdenn
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zum 4. Teil
Über den Autor:
Micky Remann
Herr Remann ist ein ausgesprochen kreativer Zeitgenosse.
Er
lebte bei den Aborigenees in Australien, meditierte
mit thailändischen Mönchen im Vivek Asom
Samnak Vipassana-Kloster, ist Journalist, Schriftsteller,
NLP-Master und hält für seine Unterwasser-Konzerte
einen Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde. Er führte
amerikanische Astronauten und russische Kosmonauten
zusammen, besuchte den Dalai Lama und begleitete David
Copperfield auf seiner Deutschlandtournee als Live-Übersetzer
auf der Bühne. Und - als Erfinder von LIQUID
SOUND machte er international Schlagzeilen, ein
kreatives Projekt, das man eigentlich am besten für
sich selbst entdeckt: In Bad
Sulza oder in Berlin.